In den vergangenen Jahren hat die Entwicklung im Bereich künstlicher Intelligenz große Fortschritte gemacht. Doch welche Rolle spielt diese Technologie für Lektor:innen?
Sprach-KIs wie ChatGPT sind aktuell in aller Munde. In Bereichen wie Marketing oder Journalismus löst dies sowohl Begeisterung als auch Angst aus: Je nachdem, wen man fragt, wird die hochpotente künstliche Intelligenz ganze Berufszweige entweder revolutionieren oder vernichten. Diese Entwicklung macht naturgemäß auch vor dem Lektorat nicht halt. Zwar geht es in diesem Bereich nicht darum, Texte zu erstellen, sondern bereits existierende Texte zu überarbeiten, aber auch hier gibt es technische Lösungen, die in den vergangenen Jahren um einiges besser geworden sind. Doch bedeutet das, dass das Lektorat in Zukunft automatisiert werden wird?
Zunächst sollte festgehalten werden, dass KI-gestützte Korrekturhilfen (hier sind zum Beispiel DeepL Write oder LanguageTool zu nennen) nichts völlig Neues sind, sondern lediglich die Weiterentwicklung von Programmen darstellen, die wir alle aus unserer Arbeit mit Word kennen. Der Unterschied liegt in der Art und Weise, wie sie technisch funktionieren. Während die Word-Rechtschreibprüfung ein starres Modell ist, das den zu prüfenden Text lediglich mit einem fixen Katalog von Regeln abgleicht, ist die neue Generation dynamisch: Sie muss die Regeln nicht »beigebracht« (also einprogrammiert) zu bekommen, sondern »lernt« sie selbst, indem sie eigenständig riesige Mengen an Text durchforstet und auf wiederkehrende Muster hin untersucht. Mit der heute vorhandenen Rechenleistung von Computern ist es dadurch möglich, eine sehr viel stärkere und präzisere Korrekturhilfe zu entwickeln.
Die Vorteile dieser neuen Generation von Software liegen auf der Hand und lassen sich schon bei der ersten Benutzung erfahren. LanguageTool zum Beispiel findet nicht nur Rechtschreib- und Grammatikfehler sehr verlässlich, sondern erkennt auch, wenn bestimmte Wörter oder Redewendungen in einem Text immer wieder vorkommen. In diesem Fall liefert es Vorschläge für Alternativen, um den Stil abwechslungsreicher zu gestalten. Allmächtig ist das Programm dabei aber nicht: Die Feinheiten der deutschen Kommaregeln sind anscheinend auch für die modernste künstliche Intelligenz (noch) nicht zu 100 Prozent durchschaubar. Man kann jedoch davon ausgehen, dass diese Programme in den nächsten Jahren in der Lage sein werden, Texte zuverlässig zu korrigieren und stilistisch aufzupolieren.
Völlig anders sieht es aus, wenn wir uns der inhaltlichen Seite von Texten zuwenden. Wer die Berichterstattung zu ChatGPT verfolgt hat, wird wissen, dass die Software zwar erstaunlich gut formulierte Texte produziert, diese aber immer wieder falsche, von der KI halluzinierte Fakten enthält. Dieser Mangel ist kein Zufall: Die Funktionsweise dieser Programme basiert auf der Erkennung und Rekonstruktion von Mustern. Man könnte vereinfacht sagen: Die KI trifft eine auf Statistik beruhende Vorhersage darüber, welches Wort als Nächstes kommt. Semantik spielt dabei keine Rolle – ChatGPT »versteht« nicht, was es da überhaupt schreibt, genauso wie eine Korrektur-KI nicht »versteht«, was sie korrigiert. Und ein solches »Verstehen« wird auch in zukünftigen Versionen nicht erreicht, sondern allenfalls simuliert werden können. Die Überarbeitung von Texten auf der inhaltlichen Ebene wird daher nach wie vor die Sache von Menschen sein.
Ein weiterer Aspekt ist die strukturelle Unkreativität von künstlicher Intelligenz. Ob die KI eine Formulierung als grammatisch korrekt oder stilistisch gelungen einstuft, ergibt sich allein aus der Häufigkeit, mit der diese Formulierung in dem zugrundeliegenden Datensatz vorkommt. Das sprachliche Ideal der KI ist der statistische Mittelwert, weswegen KI-generierte Texte zwar meist fehlerfrei, aber auch ziemlich langweilig sind. Ein Umgang mit Sprache, der interessant ist und einen ästhetischen Reiz besitzt, liegt nämlich gerade nicht in der sturen Orientierung am Durchschnitt, sondern in der bewussten Abweichung davon. Und ob eine solche Abweichung sinnvoll ist und dem Ziel des Textes dient, können allein menschliche Lektor:innen beurteilen.
Für die Zukunft des Lektorats lässt sich deswegen festhalten, dass KI-Programme zwar bestimmte Tätigkeiten übernehmen können, aber für die inhaltliche und kreative Seite der Arbeit mit Texten nicht geeignet sind. Deshalb sollten Lektor:innen auch keine Angst davor haben, dass sie durch künstliche Intelligenz überflüssig werden, sondern die Technologie stattdessen in ihren Arbeitsablauf integrieren. Denn wenn man weniger Zeit dafür aufwenden muss, die immer gleichen Fehler per Hand zu korrigieren, bleibt mehr Zeit dafür, sich dem zu widmen, was wirklich wichtig ist: Texte so zu überarbeiten, dass sie ihren Leser:innen etwas bedeuten.