Das Auge liest mit

Typografie ist eine Kunst, der wir alltäglich begegnen, auch wenn wir sie oft nicht bewusst wahrnehmen. Für die Lesbarkeit und Ästhetik von Texten ist eine gute typografische Gestaltung jedoch nicht zu vernachlässigen.

In unserem Leben sind wir auf Schritt und Tritt umgeben von Text – in Zeitungen und Büchern, auf Speisekarten und Rechnungen, auf Plakaten und Verkehrsschildern, und natürlich auf unseren elektronischen Endgeräten. Wir lesen ständig und ganz automatisch. Was uns dabei nur selten auffällt: Jeder Text, den wir lesen, besitzt eine bestimmte typografische Form.

Vor der Digitalisierung war Typografie etwas, für das allein Fachleute zuständig waren. Texte wurden von ausgebildeten Setzer:innen und Typograf:innen gestaltet, die ihr Handwerk über Jahre hinweg erlernt hatten. Heute ist es dank Textverarbeitungsprogrammen wie Word für alle möglich, mit der äußeren Form von Texten zu experimentieren und unterschiedliche Schriftarten auszuwählen oder Zeilenabstände einzustellen.

Dieser niedrigschwellige Zugang zur Typografie hat Vor- und Nachteile: Einerseits muss man kein kleines Vermögen mehr ausgeben, um ein selbst geschriebenes Buch hübsch aussehen zu lassen. Auf der anderen Seite aber geht ein Teil des typografischen Wissens verloren, das unter den Profis von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Zwei wichtige Punkte, auf die man unbedingt achten sollte, möchte ich hier kurz vorstellen: der sogenannte Grauwert und die Wahl der Schriftart.

Der Grauwert ist bei der Gestaltung von Buchseiten von großer Bedeutung. Er bezeichnet den Gesamteindruck, der sich aus Parametern wie Schriftart und -größe, Laufweite, Zeilenlänge und Zeilenabstand ergibt. Je höher der Grauwert ist, desto dunkler und dichter wirkt der Text, was ihn unangenehm und schlecht zu lesen macht. Ein gut gesetzter Text mit niedrigem Grauwert liest sich hingegen so mühelos, dass man seine Form gar nicht wahrnimmt.

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Wahl der Schriftart. Es gibt zigtausend Schriftarten – manche sind exzentrisch, manche altertümlich, manche unscheinbar. Viele davon sind sich so ähnlich, dass es für Laien schwierig ist, überhaupt einen Unterschied festzustellen. Dennoch sollte man die Wahl der richtigen Schriftart nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn: Schrift kommuniziert. Es gibt keine völlig neutrale Schriftart, sie sendet immer eine Botschaft an die Leser:innen.

Die Garamond zum Beispiel, eine Serifenschrift mit Wurzeln im 16. Jahrhundert, ist hervorragend für den Buchsatz geeignet. Sie wird von renommierten Literaturverlagen verwendet und gibt zu verstehen, dass man es hier mit einem seriösen und »klassischen« Werk zu tun hat. Im Gegensatz dazu steht z. B. die Futura. Diese serifenlose Schriftart wurde in den 1920er Jahren entwickelt und steht für eine schlichte und moderne Ästhetik.

Übrigens: Der erste Anlaufpunkt für alle, die sich näher mit diesen und anderen Aspekten von Typografie beschäftigen möchten, ist der Mainzer Verlag Hermann Schmidt. Hier gibt es sowohl gut verständliche Einführungen als auch umfangreiche Nachschlagewerke und Jahrbücher, in denen man die unbegrenzten Möglichkeiten der typografischen Gestaltung bewundern kann. Auch die Website Typolexikon.de bietet ein breites Spektrum an Informationen.

Auf dem weiten und unübersichtlichen Feld der Typografie kann man sich schnell etwas orientierungslos fühlen. Es ist jedoch nicht so, dass jeder Text den höchsten typografischen Ansprüchen genügen muss. Wenn etwa bei einer Hausarbeit der Blocksatz etwas ungleichmäßig ist, wird das niemanden stören. Bei einer Dissertation oder einem Roman sieht das schon anders aus: Hier sollte die jahrelange Arbeit, die in den Text geflossen ist, eine angemessene äußere Form erhalten. Denn bei Texten geht es nicht allein um den Inhalt – das Auge liest mit.


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